Als ich gestern Abend die Nachricht las, dass Irrfan Khan ins Krankenhaus musste, weil sich sein Zustand aufgrund seiner Krebserkrankung verschlechtert hatte, ahnte ich, dass es sehr schwerwiegend sein muss. Die Nachricht heute morgen von seinem Tod traf mich, wie viele andere, sehr hart. Einer der besten Schauspieler Bollywoods wird uns nun nicht mehr mit seiner wundervollen Schauspielkunst beglücken und das ist sehr sehr traurig. Selbst den Medien hierzulande war die Nachricht von seinem Tod heute eine Meldung wert, denn Irrfan wurde auch weltweit bekannt mit „Slumdog Millionaire“ und „Life of Pi“, war in „Jurassic Park“ und „The Amazing Spiderman“ zu sehen.
So möchte ich mich bis in alle Ewigkeit an die schönen Filme mit ihm erinnern, die ich so lieb gewonnen habe. Irrfan war für mich immer ein Garant für einen guten Film. Seine zurückhaltende, fast schüchterne Art war etwas ganz besonderes in einem Filmbusiness, in dem man möglichst laut sein muss und immer posen. Das hatte Irrfan nie nötig. Filme mit ihm kamen ganz ohne den üblichen Bollywoodtrubel aus. Er gewann seine Liebsten mit einer viel nachhaltigeren Art. Zuhören, sanft und klug agieren. Während alle um ihn herum in gewohnt indischer Manier durchdrehen, blieb er stets ruhig.
Einer der schönsten Filme mit ihm ist für mich Lunchbox. Eine großartige Liebesgeschichte, die ganz ohne Tanz und große Sprüche auskommt. Hier wurde quasi das Sprichwort „Liebe geht durch den Magen“ verfilmt. Kann ich mir immer wieder anschauen. Ein schöneres Verlieben gibt es kaum.
Quarib Quarib Single (zu sehen bei Netflix)
Flirten kann er wirklich ganz meisterhaft, der Irrfan. In diesem Film sogar mit einer sehr merkwürdigen Erscheinung. Mit Lockenköpfchen, Schweißband und Jogginghose. Auch hier wickelt er mal wieder eine (sehr junge Dame) ordentlich um den Finger, ohne großes TamTam zu benötigen.
Billu Barber (zu sehen bei Netflix)
Hier spielt Irrfan Khan den Friseur Billu, der bescheiden mit seiner Frau und den zwei Kindern in einem kleinen Ort lebt. Als Bollywood-Star Sihar Khan (gespielt von Sharukh Khan) sein Dorf besucht und das Gerücht die Runde macht, er sei ein guter Freund Billus, wird er über Nacht zu einer Berühmtheit im Ort. Doch Billu versucht erfolglos, sich dem Star zu nähern. Der Druck durch seine Mitmenschen wird immer größer und die Situation eskaliert, als die Dorfbewohner ihn schließlich wegen Betruges bei der Polizei anzeigen…
Irrfan Khan wollte Film erst nicht drehen, weil die Themen zu gewaltig, mit zuviel Schmerz behaftet sind. Die gewaltsame Teilung Indiens 1947 mit Millionen von Schicksalen, die bis heute nachwirken und die so viele traumatisierte Menschen hinterließ. Die Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft, in der nur Söhne der Familie Glück und Segen bringen. Der mörderische Makel, ein Mädchen zu sein. Die Macht der Familie, die keinen Raum für ein eigenes individuelles Leben lässt. Traditionen, an denen sich festgeklammert wird und die in keiner Weise in Frage gestellt werden. Vergewaltigung…daraus wurde ein Fantasy-Film, der einen zwar etwas verwirrt zurück lässt, aber Irrfan legte hier eine seiner besten Leistungen hin, wie er meinte.
Ein wunderbarer Film zum Thema „wie erlange ich das Optimum für meinen Nachwuchs“. Irrfan Khan als Vater und seine Frau möchten wie alle Eltern ihrer Tochter einen optimalen Start ins Schulleben ermöglichen, sind aber weder besonders reich, um die Tochter auf eine teure Privatschule zu schicken, noch sind sie besonders arm, denn arme Familien bekommen eine Quote und haben auch eine Chance auf einen Platz in einer besseren Schule, die von Chinesisch bis Klavierunterricht alles bieten. Also tarnen sie sich als arme Leute und ziehen dafür sogar ins Armenviertel. Man kann sich vorstellen, wie amüsant allein diese Umstellung für die Familie ist und dass natürlich nicht alles nach Plan verläuft.
Piku und ihr 70jähriger Vater sind zwei sehr komplizierte Menschen, die sich ohne Pause anschreien können und sich ständig annerven. Ihr Lieblingsthema sind Verdauung und Stuhlgang des Vaters. Keiner in ihrem Umfeld hält das Gezeter der beiden aus, sogar die Taxifahrer boykottieren sie. Irrfan als Taxiunternehmer allerdings erbarmt sich schließlich und fährt die beiden von Delhi nach Kalkutta. Irrfan ist wie gewohnt angenehm ruhig und man schaut ihm gerne zu, wie er die beiden Wahnsinnigen oft auf den Boden der Tatsachen herunter holt. Er scheut sich auch nicht davor, die Probleme zwischen Piku und ihrem Vater zu benennen.
Ein angenehmer Ruhepol hat diese Welt verlassen. In einer Welt, in der „Poltern“, Attackieren, Hetzen, Herumschreien, Pöbeln so normal geworden ist.