Bollywoodelfe's Blog

Eine deutsche Sicht auf Bollywood, Indien , Pakistan

Laila aur satt geet – Schönheit als Bürde

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(Filmcrew bei der Berlinale)

Laila aur satt geet | The Shepherdess and the Seven Songs. Ein Film in Gurjari/Gojri, eine Sprache, die von Stämmen Indiens, Pakistans und Afghanistans gesprochen werden. Die Volkserzählung der Wanderhirtin Laila ist inspiriert von der Dichtung der kaschmirischen Mystikerin Lalleshwari, die im 14. Jahrhundert lebte und auch als Lalla bzw. Lal Ded bekannt ist (siehe Details aus der Beschreibung der Berlinale)

Laila ist ein wunderschönes junges Mädchen, das zu einem Gujjar-Bakarwal Stamm gehört, eine Gemeinschaft von Nomaden, die mit ihren Schafen in Kaschmir umherzieht. Ab einem gewissen Alter muss man heiraten und so heiratet sie Tanvir, einen Stammesgenossen und sie ziehen vor dem heftigen Schneefall weg weiter ins Tal. Ihr Schönheit wird schnell zum Gesprächsstoff in der umliegenden Gegend. Ein Polizeibeamter und sein Handlanger Mushtaq gehen ins Lager unter dem Vorwand, die Identitäten der Personen prüfen zu müssen. Ihnen geht es aber mehr darum, einen Blick auf die wunderschöne Laila zu erhaschen. Sie sind sehr beeindruckt von ihr. Denn Laila ist mutig und lässt sich nichts gefallen. Erst recht keine Zudringlichkeiten von Männern. Zwischen Mushtaq und Laila kommt es zu einem Spiel, bei dem sie sich Tricks einfallen lassen muss, um sich von seinem offensichtlichen Wunsch fernzuhalten, ihr sexuell näher zu kommen. Leider ist ihr Mann Tanvir auch nur wie ein “Bock”, der nur seinen täglichen Sex mit ihr haben will, ihr aber in keiner Weise behilflich ist, ihr Mushtaq vom Leib zu halten.

Laila Aur Satt Geet zeigt uns im Detail das harte Leben von Nomaden in Kaschmir. Sie müssen heutzutage nicht nur den harten Bedingungen der Natur trotzen, sondern vor allem auch den politischen Gegebenheiten im umkämpften Kaschmir-Gebiet. Ärger mit den Kaschmir Separatisten und den indischen Sicherheitsbeamten gehört zum Alltag. Jede Partei im Kaschmir-Konflikt möchte Kaschmir für sich besitzen. Aber keiner sieht dabei die Menschen, die dort leben. Und die Polizei suhlt sich gern in der Machtposition, den Nomaden zu zeigen, wer am längeren Hebel sitzt. Laila will sich dieser Macht nicht untergeben. Ihr Mann jedoch möchte einfach nur keinen Ärger. Eher nimmt er in Kauf, dass seine Frau von Beamten belästigt wird. Berechtigterweise sagt sie den schlimmen Satz zu ihrem Mann: “Dann schütte mir doch Säure ins Gesicht, dann hat sich das Problem gelöst.” Ihre Schönheit wird ihr in dieser männerdominierten Welt zum Verhängnis. Sie kämpft wie eine Löwin für ihr Schicksal und ihre Bedürfnisse. Sie möchte nicht von allen Männern um sie herum kontrolliert werden. Aber sie hat keine Chance auf ein friedliches Leben und muss ihre Konsequenzen ziehen.  

Laila Aur Satt Geet beinhaltet sieben lokale Volkslieder, um Lailas innere und äußere Welt zu beschreiben. Sieben ist eine sehr bedeutsame Zahl für Sufis (Strömungen im Islam) und wir sehen im Film sieben Phasen in Lailas Leben. Die Lieder wurden nicht extra für den Film geschrieben, sondern für den Film als Vorlage genommen, um die verschiedenen Stimmungen von Laila zu untermalen. Sie fügen sich wirklich wunderbar zur Geschichte. 

Der Film beinhaltet wunderschöne Bilder von Kaschmir, von den Wäldern, dem Leben als Schafhirt. Man möchte am liebsten auch dort umher wandern, aber weiß im gleichen Moment, dass es nicht möglich ist, sich in Kaschmir frei zu bewegen. 

Es ist eine sehr traurige Geschichte, aber auch eine mit sehr starken Bildern und einer wunderbaren und beeindruckenden Darstellerin der Laila. Die kaschmirische “Mystikerin” Lalleshwari kannte ich bisher noch nicht. Der Regisseur sagt im Interview, Hindus und Moslems beanspruchen sie gleichermaßen als eine ihrer populärsten weiblichen Poetin.Sie schreibt in ihren Versen sowohl über den Hinduismus, als auch den Islam, so dass sie als Figur sehr wichtig für den Kaschmir-Konflikt ist. Zudem eine starke Antwort auf all das, was Frauen auch in der heutigen Zeit in Indien erleben müssen und bewegt. Und der Regisseur wollte zeigen, dass sich Indien eben nicht weiterentwickelt, wie es sollte, weil die Politik einem das Leben schwer macht. 

Ein sehr lehrreicher und bildgewaltiger Film.

Director‘s Talk · 29.02.2020 Pushpendra Singh:

https://www.berlinale.de/de/programm/programm/detail.html?film_id=202007647#video-directors_talks

EN

Laila aur sat geet | The Shepherdess and the Seven Songs. A film in Gurjari / Gojri, a language spoken by tribes of India, Pakistan and Afghanistan. The folk tale of the wandering shepherdess Laila is inspired by the poetry of the Kashmiri mystic Lalleshwari, who lived in the 14th century and is also known as Lalla or Lal Ded.

Laila is a beautiful young girl who belongs to a Gujjar Bakarwal tribe, a community of nomads who move around with their sheep in Kashmir. At a certain age you have to get married and so Laila marries Tanvir, a fellow tribal  member and they move further down into the valley because of the heavy snowfall in the hills. Her beauty quickly becomes a topic of conversation in the surrounding area. A police officer and his sidekick Mushtaq go to the tribe’s camp to verify the people’s identities. But it’s more about catching a glimpse of beautiful Laila. They are very impressed by her. Because Laila is brave and doesn’t put up with anything. Certainly no male intrusions. There is a game between Mushtaq and Laila in which she has to come up with tricks to avoid his sexual advances. Unfortunately, her husband Tanvir is just like a “goat” who only wants to have sex with her daily, but is in no way helpful in keeping Mushtaq away from her.

Laila Aur Satt Geet shows us in detail the hard life of nomads in Kashmir. Nowadays you not only have to defy the harsh conditions of nature, but above all the political conditions in the Kashmir area. Trouble with the Kashmir separatists and the Indian security officers is part of everyday life. Every party in the Kashmir conflict wants to own Kashmir. But nobody sees the people who live there. And the police like to show the nomads who have more power. Laila does not want to submit to this power. However, her husband just doesn’t want any trouble. He is willing to accept that his wife will be harassed by officials. In her desperation she says the horrible sentence to her husband: „Throw acid into my face, then the problem will be solved.“ Her beauty has doomed her in this male-dominated world. She fights like a lioness against her fate and for her needs. She doesn’t want to be controlled by all the men around her. But she has no chance of a peaceful life and must face the consequences.

Laila Aur Satt Geet contains seven local folk songs to describe Laila’s inner and outer world. Seven is a very significant number for Sufis (a mystical form of Islam) and we see seven phases in Laila’s life in the film. The songs were not written specifically for the film, but were used as a template for the film to underline the different moods of Laila. They really fit in with the story.

The film contains beautiful images of Kashmir, the forests, life as a shepherd. You want to hike around there too, but you know at the same time that it is not possible to move freely in Kashmir.

It is a very sad story, but also one with very strong images and a wonderful and impressive performance from the actress who portrays Laila. I didn’t know who the Kashmiri “mystic” Lalleshwari was. The director said in the interview that Hindus and Muslims claim her to be one of her most popular female poets, and she writes about Hinduism and Islam in her verses, making her a very important figure in the Kashmir conflict. In addition, a strong answer to everything that concerns women and what they have to deal with in India today. The director wanted to show that India is not developing as it should because the political situation make life difficult for Indians

A very educational and visually stunning film.

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Eeb Allay Ooo! – Affenschreck wider Willen

Indien ist wahrscheinlich das einzige Land in der Welt, in dem es den Beruf des Affenvertreibers gibt. Da in Indien unter anderem auch der Affengott Hanuman verehrt wird, werden Affen wie Götter behandelt und gefüttert. Diese Zutraulichkeit hat natürlich schwerwiegende Folgen: Affenbanden gehen auf Raub- und Plünderjagd und zerstören gern wichtige Dinge wie Sicherheitskameras an Gebäuden. Auch stellen sie natürlich ein Sicherheitsrisiko für alle Menschen dar. Ein Biss kann Tollwut und andere Krankheiten übertragen. Sie niedlich sie auch aussehen und zutraulich sind, sofern sie gefüttert werden. Sie sind immer noch Tiere. Deswegen müssen die Affen regelmäßig vertrieben werden. Aber bitte, ohne ihnen weh zu tun. Sie sind ja schließlich auch heilig. Hauptakteur Anjani verzweifelt im Film an diesem Job, den er aber machen muss, da es keine anderen Jobs für ihn gibt. So viele benötigen einen Job. Seine Versuche, mit allen Mitteln die Affen zu vertreiben, sind wirklich sehr unterhaltsam und urkomisch. Sein Kollege versucht, ihm die Laute beizubringen, mit denen sie die Affen verscheuchen sollen. Eeb Allay Ooo! Aber diese Laute kommen Anjani einfach nicht angst einflößend genug über die Lippen. Die Affen zeigen sich von teilnahmslos desinteressiert bis angriffslustig ihm gegenüber. Er ist ein sehr schlechter Affenvertreiber. Und er hat ja zu recht Respekt vor den Affen. Ich kann seine Angst sehr gut nachvollziehen. Auch ich halte lieber Abstand von freilaufenden Affen. Mir sind in Indien und Sri Lanka schon viele über den Weg gelaufen. Nichts ist passiert. Aber der Respekt bleibt. Man kann nicht einschätzen, wie sie reagieren. In dieser Situation z.B. fühlte ich mich sehr unangenehm, als sich die Affen so ganz nah zu uns setzten. Die Mönche hingegen waren sehr entspannt und gelassen. 

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Anjani hat aber keine Wahl. Er muss diesen Job machen. Er lässt sich gute Dinge einfallen, die Affen auf Abstand zu halten. Aber diese Ideen finden bei seinem Chef keinen Anklang und bringen ihm immer Ärger ein. Oft geht es auch gewalttätig zu. Er braucht diesen Job aber unbedingt. Er lebt mit seiner schwangeren Schwester und ihrem Ehemann im Slum in einer kleinen Unterkunft. Auch wenn alle schwer arbeiten, kommen sie kaum über die Runden. Die Frauenärztin schimpft auf den Ehemann, der seine Frau hochschwanger schuften lässt, aber sie haben keine Wahl. Sie brauchen jede Rupie, um zu überleben. Anjani kann es sich nicht leisten, seinen Job zu verlieren. 

Indische Filme schaffen es immer wieder, Gesellschaftskritik mit einer gehörigen Portion Humor zu verbinden. Über die Situationen mit den Affen kann man wirklich herzhaft lachen. Auf der einen Seite jemand, der verzweifelt versucht, sie zu vertreiben. Auf der anderen Seite schon fast gelangweilte Affen, die dem Vertreibenden sehr viel mehr Angst machen. Die Geschichte dahinter, der Versuch, das tägliche schwere Leben zu meistern, ist eine von Millionen in Indien, aber sollte einem immer wieder vor Augen geführt werden. Die Slums werden gern vor der Öffentlichkeit versteckt. Donald Trump ist gerade in Indien zu Besuch und es werden Mauern hochgezogen, um die Slums zu verstecken, an deren Trumps Kolonne vorbeikommen könnte. Die Filmemacher wissen nicht, wie viel vom wirklichen Indien hier in Europa ankommt. Sie wollen zeigen, wie die Leute leben müssen, die die großen Häuser bauen, damit Indien vor allem Wohlstand und Modernität suggeriert. Die aber kaum davon leben können. Auch das ist Indien.

Die Filmemacher haben den Film so gestaltet, dass er wie eine Dokumentation wirkt. Also das reale Leben widerspiegelt. Die Herausforderung war, die Stadt mit einzubeziehen, ohne als Filmteam sichtbar zu sein. Das ist ihnen sehr gut gelungen. 

Mit meinem Wissen darüber, wie man Affen sehr effektiv verjagen kann, wäre der Film deutlich kürzer gewesen. Ich habe in Sri Lanka gelernt, dass man nur eine Gorillamaske aufsetzen muss und schon sind alle Affen weg. Aber der lange Weg des Herausfindens, wie man Affen ohne Gewalt vertreiben kann, ist sehr lustig anzusehen. Das ist der feinfühlige Humor, den ich schätze. Zusammen mit der Tiefe, die das reale Leben in Indien mit allen Schwierigkeiten zeigt. Wunderbar!

EN

India is probably the only country in the world where the profession of monkey chaser exists. Since the monkey god Hanuman is also worshipped in India, monkeys are treated and fed like gods. Of course, this contact with humans has serious consequences: gangs of monkeys hunt and plunder and like to destroy important things like security cameras on buildings. In addition, they also represent a safety risk for all people. A bite can transmit rabies and other diseases. They look cute and seem harmless when being fed. But they are still animals. That is why the monkeys have to be driven out regularly from important buildings or tourist spots. But carefully, without hurting them. After all, they are also holy. In the film the main actor Anjani is not doing very well in this job, but he has to do it because there are no other jobs for him. His attempts to chase away the monkeys by any means are really entertaining and hilarious. His colleague tries to teach him the sounds with which they are supposed to scare away the monkeys. Eeb Allay Ooo! But these sounds just don’t come out scary enough across his lips. The monkeys‘ reactions range from disinterested to aggressive. He is a very bad monkey chaser. I can understand his fear very well because he has a good reason to respect the monkeys. I also prefer to stay away from free-range monkeys. I have come across many monkeys in India and Sri Lanka and luckily nothing has happened. But the respect remains. You cannot assess how they react.

Anjani has no choice. He has to do this job. He comes up with good ways to keep the monkeys at a distance. But these ideas are not well received by his boss and always get him in trouble. His boss becomes violent with him. But he absolutely needs this job. He lives with his pregnant sister and her husband in a slum. Even if everyone works hard, it’s hard to survive for them. The gynecologist scolds the husband, who has his wife working while she is pregnant, but they have no choice. You need every rupee to survive. Anjani cannot afford to lose his job.

Indian films always manage to combine social criticism with a nice dose of humor. You can really laugh heartily at the situations with the monkeys. On the one hand, you have someone who is desperately trying to chase them away. On the other hand, you have almost bored monkeys which scare the chaser much more. The story behind it, the attempt to cope with the difficulties of daily life and should always be kept in your mind. The slums are often hidden from the public. Donald Trump is currently visiting India and walls are being built to hide the slums that Trump’s convoy might pass. The filmmakers don’t know how exposure Europeans have to the realities of life in India. They want to show how hard it is for the people to survive, the very people who build all the big houses that allow India to project an image that suggests prosperity and modernity. That is also Indian.

The filmmakers have designed the film so that it looks like a documentary. It reflects real life. The challenge was to involve the city without being visible as a film team. They succeeded very well.

With my knowledge of how to chase away monkeys very effectively, the film would have been much shorter. I learned in Sri Lanka that you only have to put on a gorilla mask and all the monkeys are gone. But the long road of figuring out how to drive away monkeys without violence is very funny to watch. That is the sensitive sense of humor that I appreciate. Along with the depth shows that real life in India with all it’s difficulties. Wonderful!

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Mogul Mowgli – Wer bin ich?

Ein Filmemacher und ein Rapper machen quasi einen Film für sich selbst, der ihnen bei der Suche nach ihrer Identität helfen soll. Rapper Riz Ahmed „Riz MC“ spielt im Film den Rapper Zaheer, Sohn pakistanischer Eltern, aufgewachsen in Großbritannien. Zaheer möchte gern nur Zed genannt werden, er lebt schließlich nicht in Pakistan, und hat auf dem Weg seiner Karriere selten Zeit für seine Eltern. Bis ihn eine sehr schwere Autoimmun-Krankheit dazu zwingt, dass sich alle wieder näher kommen. Schnell wird klar, dass er die bevorstehenden Tour nicht antreten kann. Er soll auf der Tour durch Rapper RPG ersetzt werden, der Songs wie „Pussy Fried Chicken“ performt und Zed ist nicht sehr begeistert, hat aber keine Wahl. Am Ende performt RPG sogar Zeds neuesten Song „Toba Tek Singh“. „Toba Tek Singh“ ist eine Kurzgeschichte von „Manto“ über die von den Briten bestimmte Teilung Indiens in Indien und Pakistan, die unendlich viel Leid verursachte.

Während Zed mit der Krankheit kämpft, schwirrt ständig der Geist der Vergangenheit um ihn herum in Form eines Mannes, der den traditionellen Blumenkopfschmuck eines Bräutigams in Indien trägt. Wenn man sich mit sich selbst beschäftigt, kann man nicht außen vorlassen, woher man stammt. Es begleitet einen immer mit. Dies in Form einer solchen Gestalt zu visualisieren, finde ich eine recht geniale filmische Umsetzung. Riz Ahmed meint, wir sind keine Individuen. Wir sind immer Teil einer Familie. Sie gehört zu dem, wer wir sind.

Der Film zeigt wunderbar deutlich die Zerissenheit zwischen dem Leben in Großbritannien und dem Erbe des zurückliegenden Lebens in Indien/Pakistan. Das Mogulreich auf dem indischen Subkontinent war einst ein riesiges Reich. Heutzutage fühlt man sich als Mowgli zwischen den Welten, nicht genau wissend, wohin man wirklich gehört. Wird man so zerrissen jemals bei sich ankommen können?

Der schwarze Humor kommt in diesem Film nicht zu kurz, besonders an dem Punkt, als Zed sein Sperma einfrieren soll, das bei der Therapie geschädigt werden könnte. Natürlich ist einem nicht wirklich zum Lachen zumute, denn Riz Ahmed spielt alles so fucking überzeugend. Am Ende fühlte ich mich fast selbst krank. Es kein Gute-Laune-Film. Aber auch keiner, der einen herunter zieht. Da hat sich einfach nur jemand berechtigterweise die Frage gestellt, wer man eigentlich ist. Und überzeugend filmisch bebildert.

Regisseur Bassam Tariq meinte, eine Filmcrew wie ihre sieht man wohl selten im europäischen Filmbusiness. Leider ja. Ich find es toll. Ich mag die Durchmischung von Kulturen. Und die Auseinandersetzung mit diesem Thema. Und dass Rap dabei helfen kann, seine Gefühle auszudrücken, hatte ja schon „Gullyboy“ hervorragend gezeigt.

EN

A filmmaker and a rapper basically made a film for themselves to help them find their identity. Rapper Riz Ahmed “Riz MC” plays the rapper Zaheer, son of Pakistani parents, who grew up in Great Britain. Zaheer would just like to be called Zed, after all, he doesn’t live in Pakistan, and rarely has time for his parents alongside of his career. Then a very serious autoimmune disease forces him to get closer with his parents again. It quickly becomes clear that he cannot do the upcoming tour because his disease is too serious. He is to be replaced on the tour by rapper RPG, who performs songs like „Pussy Fried Chicken“ and Zed is not very enthusiastic about this, but has no choice. In the end, RPG even performs Zed’s latest song „Toba Tek Singh“. „Toba Tek Singh“ is a short story from the Indian poet „Manto“ about the division of India into India and Pakistan, which was determined by the British, and which has caused infinite suffering.

While Zed struggles with his disease, the spirit of the past buzzes around him in the form of a man wearing the traditional flower headdress of a groom in India. When you take a closer look at yourself, you cannot ignore where you come from. It always accompanies you. Visualizing this in the form of such a shape is a very ingenious film implementation. Riz Ahmed says we are not individuals. We are always part of a family. We are who we are because of them.

The film wonderfully shows the conflict between life in Great Britain and the legacy of the past life in India / Pakistan. The Mughal Empire on the Indian subcontinent was once a huge empire. Nowadays you feel like a Mowgli from the jungle between two worlds, not knowing exactly where you really belong. Would you ever be able to find yourself like this?

Black humor is not missing from this film, especially at the point when Zed is supposed to freeze his sperm, which could be damaged during therapy. Of course you don’t really laugh, because Riz Ahmed plays everything so damned convincingly. In the end, I almost felt as if his illness was my own. It’s not a feel-good movie. But also no film which puts you in a bad mood. Someone justifiably asks himself who he really is. And the film convincingly illustrates this.

Director Bassam Tariq said that a film crew like theirs is rarely seen in the European film business. That is unfortunately true. However, I think what they are doing as filmmakers is great. I like mixing cultures and movies dealing with this topic. „Gullyboy“ has already shown that rap can help express feelings.

 

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Photograph – unaufgeregt romantisch

Es war ein Wechselbad der Gefühle an diesem vom Nieselregen durchfeuchteten Mittwochabend in Berlin. Draußen vor der Pressekonferenz im Hyatt hatten sich nur wenige Menschen versammelt, um die Hauptdarsteller von „Photograph“ Nawazuddin Siddiqui und Sanya Malhotra zu begrüßen. Wir wähnten also unsere Chancen überaus gut, Autogramme und Bilder zu bekommen, bevor man am roten Teppich aufgrund dichteren Gedränges leer ausgeht. Zuerst wurde Sanya Malhotra mit dem Auto vorgefahren. Sie war so überaus freundlich und gut gelaunt und machte fleißig Fotos mit den Fans und fragte uns, ob wir den Film später mit ansehen. Dann dauerte es noch eine Weile, kamen die anderen Autos angefahren. Ein Kreischen nach Nawaz ging los, aber nein, es war nur sein Bruder, wie er dann erklärte. Wie aus dem Gesicht geschnitten, ein klein wenig fülliger als Nawazuddin, ohne Bart. Dann kam Nawazuddin himself. Kein Bad in der Menge, nur ein kurzes Foto und ein Autogramm und schon war er drinnen verschwunden. Was?! Der Mann, den man im Film sogar als Mörder sympathisch findet, war so ein Grummel? Tausend Fragen schießen einem durch den Kopf: hat er vielleicht einfach einen schlechten Tag, ist ihm das einfach nur unangenehm, mag er Menschen allgemein nicht, ist er im wahren Leben ein Grummel? Nicht der Ansatz seines zauberhaften Lächelns aus seinen Filmen. Wie enttäuschend! Nachdem wir uns beim Inder etwas aufgewärmt hatten, wollten wir es dann doch nochmal im Friedrichstadtpalast versuchen, ihm etwas näher zu kommen. Schließlich hat man einen Nawazuddin nicht alle Tage hier. Und siehe da, dort kamen wir dann also noch zu unseren Autogrammen und Bildern. Aber immer mit dem Gefühl, dass er diese Prozedur nur notgedrungen über sich ergehen lässt. Ein sehr ambivalentes Gefühl und ich hatte die Befürchtung, dass mir nun sein Film gar nicht mehr so gefallen würde.

Zum Glück zerschlug sich diese Befürchtung. Das Film-Nawazuddin-Ich ist einfach immer großartig. Die größere Herausforderung nach dieser ganzen Aufregung war eher, sich auf diesen absolut unaufgeregten ruhigen, sensiblen Film einzulassen. Eine ganz und gar schüchtern aufgebaute Romanze. Rafi verdient sein Geld in Mumbai mit dem Fotografieren von Touristen. Er wird von allen in seiner Umgebung gegängelt, dass er endlich heiraten soll, er sei ja fast schon zu alt dafür. Seine Großmutter tritt schließlich in den Medikamentenstreik, damit er sich endlich eine Frau sucht. Nachdem er eines Tages auf die angehende Buchhalterin Miloni trifft, ein Foto von ihr macht und sie ihm nicht mehr aus dem Kopf geht, schreibt er seiner Großmutter, dass er endlich eine Braut gefunden hat und erfindet einen Beziehung mit Miloni, deren Namen er bis dahin nicht mal kennt und die er „Noori“ nennt, nach einem Lied, das er beim Schreiben des Briefes hört. Kaum erfährt die Großmutter von ihrem Glück kommt sie schnellstens nach Mumbai gereist, um die zukünftige Braut kennen zu lernen. Miloni spielt dieses Spiel tatsächlich mit, denn auch ihr ging Rafi nicht aus dem Kopf, der so ganz besondere Fotos von ihr macht und so langsam, ganz zart und behutsam kommen sich die beiden auch wirklich näher. Die Großmutter bringt sehr viel Humor in die Szenerie, wenn sie geradezu heraus sagt, was sie über das Prinzesschen denkt. Ein bisschen ungewohnt ist es, dass die studierende Tochter offensichtlich ohne Nachfragen der Eltern sehr viel Zeit außerhalb des Hauses verbringen darf. Das habe ich sonst noch selten in einem indischen Film gesehen und erscheint mir zu unrealistisch. Die offensichtlich unterschiedlichen Lebenswelten wären im wahren Leben wohl auch ein eher unüberwindbares Hindernis: er aus dem Dorf in einem Raum mit mehreren anderen Männern lebend und sie aus reicherem Hause mit Dienerin. Aber wir dürfen uns das Ende der Geschichte ja schon wie in Lunchbox schön denken. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Von daher eher hoffnungslos romantisch gedacht.

Wunderbare Kameraführung, die Handlung kommt durch wenige feinfühlige Gesten und ohne viel Gerede voran. Man kann sich viel selber denken, während hier eine ganz zarte Blüte der Liebe austreibt. Das Liebespaar nimmt man den beiden auf jeden Fall ab, es könnte genauso gewesen sein, sie bilden eine Einheit ungeachtet ihrer unterschiedlichen Herkunft.

Leise, unaufgeregt, feinfühlig. Etwas für  Romantiker. Kommt ab 11.April regulär ins Kino.

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Gully Boy – ein Street Rapper auf dem Weg nach oben

 

Alles fing mit der Pressekonferenz von Gully Boy zur Berlinale im Hyatt an. Plötzlich gab es einen unfassbar kalten Regenschauer mit Windböen, als die Autos mit den Stars Alia Bhatt und Ranveer Singh angefahren kamen. Genau an unserer Position stiegen die beiden aus dem Auto. Ich war viel zu abgelenkt von Alia, die sich umringt von zwei Schleppenträgerinnen und Schirmträgern in ihrem luftigen Kleidchen fast zu Tode gefroren haben muss. Es war schließlich Februar. So fasziniert bemerkte ich viel zu spät Ranveer, der alle herzte. 

Als wir danach in der sehr langen Schlange vorm Friedrichstadtpalast auf den Einlass zu Gully Boy warteten, meinte ein Mann hinter uns, dass er die Karten für diesen Film einfach ins Blaue hinein gekauft hatte, also keine Ahnung, was sich hinter dem Film verbirgt und der sich über den großen Andrang wunderte. Ich würde mal behaupten, er wird sein blaues Wunder erlebt haben! Diesen Kinoabend wird er bestimmt nicht so schnell vergessen. Das Publikum war der Hammer. Sie johlten und gröhlten und rapten und fluchten und waren emotional aufgeputscht. Das war ganz großes Kino. Am Ende legte Ranveer noch seine grandiose Rap-Einlage hin (und ich saß in der zweiten Reihe genau vor ihm und konnte mein Glück kaum fassen) und der Saal kochte und bebte.

 

Gully Boy ist inspiriert vom Leben der Indischen Streetrapper Divine and Naezy. Der Film Geschichte über das Erwachsenwerden und über den Weg eines Streetrapper aus den Dharavi slums von Mumbai zu einem Star .

Murad, mit dem späteren Rappernamen “Gully Boy”, was soviel heißt wie “Straßenjunge”, hat viel zu erzählen von seinem Leben, das so viele Schwierigkeiten beinhaltet. Er wohnt in einem muslimischen „Ghetto“, sein Vater bringt eine neue Frau mit nach Hause (Muslime können ja mehrere Ehefrauen haben), womit seine Mutter natürlich sehr schlecht zurecht kommt und er wird von seinem Vater gezwungen, dessen Job als Fahrer reicher Leute zu übernehmen. Neben dem Studium. Sie sind als Diener geboren und so wird es auch immer bleiben. Halte den Kopf gesenkt. Das sind die Dinge, die ihm sein Vater mitgibt fürs Leben. Als das Fass zum Überlaufen kommt, wird Murad seinem Vater gewaltig die Meinung zu dieser Einstellung sagen.

Wenn das Leben komfortabel wäre, würde niemand rappen, meint der Rapper MC Sher zu ihm, als er Murad etwas Mut geben will, seine Texte auch vor Publikum zu präsentieren. Und so begleiten wir ihn Schritt für Schritt auf dem Weg zu einem Star. Nebenbei werden ganz ganz viele Wahrheiten angesprochen und das macht den Film wahnsinnig emotional. Seine heimliche Freundin Safia, gespielt von Alia Bhatt fährt die Krallen aus, wenn es um ihren Murad geht. Keine andere Frau soll ihm zu nahe kommen, sonst gibt es Prügel. Richtig Prügel. Sie studiert Medizin. Als sie verheiratet werden soll, antwortet sie der möglichen Schwiegermutter auf die Frage, ob sie kochen kann: nicht so gut, aber ich kann Ihnen später eine Leber transplantieren. Bäm! In your face. Und es werden noch viele Gelegenheiten kommen in denen die Kinder ihren Eltern sagen, was sie davon halten, dass sie von ihnen in eine bestimmte Richtung gedrängt werden ohne Rücksicht auf ihre Leidenschaften und dem, wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Dass sie Dinge eben heimlich tun müssen, weil sie ihnen nie erlaubt würden, aber sie würden lieber die Wahrheit sagen. Es werden so unheimlich viele Themen angesprochen, manchmal vielleicht auch etwas zu viel, einfach weil es so viele Themen in der indischen Gesellschaft gibt, über die die Zuschauer nachdenken sollten. Am Ende ist der bis dahin absolut uneinsichtige Vater geläutert und der plötzliche Sinneswandel, nur weil der Sohn nun berühmt ist, kommt etwas plump. Aber das ist nicht so wichtig. Wichtig ist der Weg des Gully Boy. Seine Zeit ist gekommen. Er hat an sich geglaubt.

In Indien wird das Leben der Kinder durch die Eltern bestimmt. Was sie studieren sollen, wen sie heiraten sollen. Viele arrangieren sich damit. Wie sich viele Inder eben mit so vielen Dingen arrangieren, die eigentlich geändert werden sollten. Im Film wird deutlich, dass es nichts bringt, das vorgegebene Leben der Eltern zu leben, wenn man für etwas eine große Leidenschaft entwickelt und diese so fern ist von dem Leben, das man laut Gesellschaft leben soll. Wer mutig ist und viel wagt, wird am Ende belohnt. 

Ich bin absolut begeistert von Gully Boy. Ich hab bisher noch nie einen indischen Film gesehen, in dem Rap und Hip Hop wirklich gut rüber kamen. Das war meist mehr gewollt als gekonnt. Hier geht es richtig gut ab und Ranveer kann das! Es hat also lange gedauert bis zur indischen Kopie von 8Mile (ich mache Spaß;), aber hier kommt echt ein Kracher. 

Als ich dieses Jahr nach Mumbai reiste, machte ich auch eine Tour durch den Slum, wo der Film spielte. Es war atemberaubend, in den “Filmkulissen” dieses großartigen Films zu wandeln. Ein bisschen fühlte ich mich dabei ertappt, nun genau einer der Touristen im Film zu sein, die den Slum “so amazing” fanden und sogar das Elternhaus von Gully Boy als Sehenswürdigkeit herhalten musste. Wir wurden aber dann sogar noch zu Stars. Unsere Gastmutter wies jeden darauf hin, dass wir bei der Weltpremiere von Gully Boy in Berlin dabei waren und die Stars trafen. Jeder, der das hörte, hatte sofort ehrfürchtiges Leuchten in den Augen. Am Ende übergaben wir sogar noch Pokale bei einem Kricketspiel, weil wir die berühmten Gully Boy Zuschauer waren. Und ganz am Ende waren wir sogar diejenigen, die die Berlinale veranstalten. Incredible India. 

Der Film hat 13 Auszeichnungen bei den Filmfare Awards erhalten. Zurecht! Superrrrrhit!

EN

It all started with the press conference for the movie Gully Boy at the Hyatt hotel in Berlin in February. Suddenly there was an incredibly cold rain shower with gusts of wind as the cars carrying the stars Alia Bhatt and Ranveer Singh arrived. Exactly where we were standing the two got out of the car. I was so fascinated by Alia, who must have frozen to death because she was wearing a very airy dress. While staring at her I missed seeing Ranveer hugging everyone.

While we then waited in the very long queue in front of the Friedrichstadtpalast for the entrance to watch Gully Boy, a man behind us said that he had bought the tickets for this film without having an idea of what the film is about and was wondering about all the hustle and bustle. I would say, he was going to get the surprise of his cinema-life. He certainly will not forget this movie night. The audience was awesome. They roared and roared and rapped and cursed and were emotionally upset. That was a really great movie. In the end, Ranveer performed his grandiose rap (and I sat in the second row right in front of him and could hardly believe my luck) and the hall went wild.

Gully Boy is inspired  by the lives of Indian street rappers Divine and Naezy. The film is a coming-of-age story about an aspiring street rapper from the Dharavi slums of Mumbai.

Gully Boy, the boy from the street (as it is translated), who is actually named Murad, has a lot to tell about his life, which involves so many difficulties. He lives in a Muslim „ghetto“, his father brings a new wife home (because Muslims can have several wives), which of course his mother gets along with very badly, and he is forced by his father to take over the father’s job as a chaffeur while studying. “You were born a servant and that’s the way it always will be. Keep your head down.” This is the advice his father gives him for life. The straw that broke the camel’s back when Murad tells his father his opinion on this issue.

If life was comfortable, no one would rap, says rapper MC Sher to him, as he wants to give Murad some courage to present his lyrics in front of an audience. And so we accompany him step by step on the way to becoming a star. On his way to stardom you really feel as a spectator how he grows in his own way and how his path becomes clearer and clearer.

Incidentally, quite a lot of truths are addressed and that makes the movie extremely emotional. His secret girlfriend Safia, played by Alia Bhatt, is overly jealous when it comes to her Murad. No other woman should come too close to him, otherwise she will beat them up. She is studying medicine. And she knows what she wants and that does not always fit into the Indian social norms. Her parents want Safia to be married  and when the mother of the selected guy asks her whether she can cook, she answers: not so good, but I give you a liver transplant later on. A really In your face-answer. And there will be many more opportunities for the children to tell their parents what they think about them being pushed in a certain direction, regardless of their passions and how they imagine their future. They have to do things secretly, because they would never be allowed to do them openly, even though they would rather live their lives honestly. 

There are so many topics addressed, sometimes maybe too many, simply because there are so many topics in Indian society that viewers should think about. At the end of the film the continually unreasonable father experiences a sudden change of heart, just because his son has become famous. This change in the father’s personality is somewhat excessive. But this is not so important. Important is the path of the Gully Boy. His time has come. He believed in himself.

In India, the lives of children are determined by their parents. What you should study, whom you should marry. How many Indians have to accept things that actually should be changed? Many simply accept it. It becomes clear in the film that living a life predetermined life by your parents is not a good idea if you develop a passion for something that is so far away from the life you want to live. If you are brave and daring, you will be rewarded in the end.

I am absolutely thrilled by Gully Boy. I have never seen an Indian movie where rap and hip hop really came across well. The will was there, but the talent wasn’t. Ranveer was the best actor for this role. It took a long time for the Indian copy of 8Mile (just joking;) to be made.. 

When I traveled to Mumbai this year, I took a tour to the slum where the movie was set. It was breathtaking to walk on the film set of this great movie. But I caught myself feeling a bit guitly, since I felt a bit like the tourists shown in the film, who find the misery in the slum „so amazing“ and they even take tours through Gully Boy’s parental home, as if the people living there are just tourist features.

 

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Peepli Live – Bauernselbstmord als letzter Ausweg

Dieser schwarzhumorige Film lief auf der Berlinale 2010 und wurde sogar für den deutschen Markt als DVD veröffentlicht.  Seit heute gibt es ihn auch bei Netflix zu sehen.

Über das eigentlich sehr bedrückende Schicksal der Bauern in Indien einen Film zu sehen, in dem sich vor lauter Asburdität Szenen ergeben, in denen man herzhaft lachen kann scheint an sich schon absurd, aber funktioniert. Schwarzer Humor vom Feinsten. Als dem Bauern Nathan droht, Haus und Hof zu verlieren, und er und sein Bruder in einem Gespräch mithören, dass es ein Programm der Regierung gibt, die für die Hinterbliebenen von Selbstmördern 100.000 Rupien bereitstellt, sieht sein Bruder dies als letzten Ausweg aus ihrer Misere und schon ergibt sich die erste Szene zum Lachen, als sie sich darüber streiten, wer von den beiden sich denn nun umbringt. Am Ende läßt der ältere Bruder dem Jüngeren den Vortritt. Von diesem Vorhaben erfährt nun ein Lokalreporter und die Geschichte wird zum Medienereignis. Manche Politiker reden ihm zu, andere halten ihn ab. Die Menschen gehen in einer Umfrage davon aus, dass es einen islamistischen Hintergrund gibt bzw. die Amerikaner an allem Schuld sind…hier werden auch die Medien ordentlich aufs Korn genommen, in deren Reihen die Regisseurin selbst jahrelang tätig war.
Die Regisseurin hat an diesem Film sechs Jahre lang gearbeitet und diese intensive Arbeit macht sich wirklich bezahlt. Für den Dreh mussten zu dem Drehort extra Straßen gebaut werden. Die Schauspieler stammen zum Teil aus der örtlichen Theatergruppe. All dies macht den Film sehr real.
Damit die Ernsthaftigkeit trotz aller Spaßigkeit nicht verloren geht, wird am Ende des Films noch einmal mit Zahlen darauf hingewiesen, wie tragisch sich die Situation der Bauern in Indien darstellt. Die Regisseurin möchte anmahnen, dass man in Indien nicht nur die großen Städte im Blick haben sollte, sondern dass es immer noch ein Dritte-Welt Land ist, in dem 70% der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben und man nicht versuchen kann, dieses Land mit den Maßstäben eines Erste-Welt-Landes zu führen.
Dieser Film hat es geschafft, ein wirklich ernstes Thema so auf die Leinwand zu bringen, dass man wunderbar unterhalten wird. Ob man durch den Film für dieses Thema sensibilisiert wird, kann ich nicht sagen, da ich mich auch schon vor dem Film damit befasst habe (siehe Monsanto und die Bauern-Selbstmorde in Indien). Aber diese Art des schwarzen Humors finde ich unbedingt sehenswert!

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Garbage – Müll menschlicher Abgründe

Heute ist der letzte Tag der Berlinale und ich habe mir den einzigen indischen Spielfilm der diesjährigen Berlinale angeschaut: Garbage.

Dieser Film ist definitiv nichts für schwache Nerven. Hier werden die hässlichsten Abgründe menschlichen Handelns in einer so ekelhaften realistischen Weise dargestellt, dass es schon sehr viel Aushaltevermögen abverlangt, sich diese Abartigkeiten anzuschauen.

Phanishwar ist ein fanatischer Anhänger des rechtsextremen Gurus „Baba“, der ihn als kleines Kind, dessen Vater bei einem Unglück starb, ein neues Zuhause gab. Nun unterstützt er seinen Guru auch bei Facebook mit fremdenfeindlichen Kommentaren.  Die „Verehrung“ für seinen Guru geht sogar soweit, dass er per oraler Befriedigung den göttlichen Samen des Gurus einsammeln muss, auf dass er ihn täglich zu sich nehme. Er hofft darauf, dass der Guru seine Krebskrankheit heilt, während er sich zu Hause ein Sklavin hält, die sich angekettet um Essen und Wäsche kümmern muss, während er sie obendrein noch schändlich misshandelt.

Phanishwar wird nun zum Taxi-Fahrer von Rami, die untertauchen muss, weil ein Sexvideo von ihr im Internet viral gegangen ist. Auch Panishwar hat dieses Video auf seinem Handy und als sie dies entdeckt und daraufhin Vergeltung übt, wird es nochmal so richtig heftig. Der sonst so heroische, über alles erhabene Mann wird hier auf brutalste Art und Weise zu einem Häufchen Elend kurz und klein gemacht.

Die Rache ist hier furchtbar und drastisch und alle endet im Müll. Der indische Regisseur Q scheint wirklich so gar keine Kontroversen zu scheuen und bleibt sich damit treu. Das ist mehr als bewundernswert. Wie viele Menschen diesen Film aushalten werden und möchten bleibt fraglich…das ist auf jeden Fall ein Film jenseits von Bollywood, wie er nicht weiter entfernt sein könnte von dieser Art von Unterhaltungsmaschinerie. Ich kann mir gut vorstellen, dass er in Indien verboten wird. Soviel Realität und Gesellschaftskritik ist dann doch zuviel für den indischen Geschmack.

 

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Viceroy’s House – eine emotionale Geschichtsstunde für Außenstehende

Bevor ich mich so tief in die Materie der indischen Filme wagte, war mir das Thema der Trennung von Indien in Indien und Pakistan kaum bewusst.
Etliche indische Filme später wurde mir klar, dass dieses Ereignis so dramatisch bis in die nachfolgenden Generationen nachwirkt, dass die blutige Trennung mit ihren vielen Opfern nicht vergessen werden darf.
Somit finde ich es sehr gut, dass dieses Them mit Viceroy’s House, einer Koproduktion von Indien und Großbritannien, vielleicht noch einer größeren Zuschauermenge näher gebracht werden kann.

Der letzte Vizekönig, Lord Mountbatten, soll in Delhi den Schritt Indiens in die Unabhängigkeit überwachen. Als die Lage unter den verschiedenen religiösen Lagern eskaliert und es zu immer blutigeren Auseinandersetzungen kommt,
scheint die Lösung, das Land in das muslimische Pakistan und das säkulare Indien zu teilen, die einzige Lösung zu sein, nicht den totalen Bürgerkrieg auszulösen.
Während die indischen Filme eher den Fokus auf die Folgen für die Menschen legen, wird in Viceroy’s House beleuchtet, wie die politischen Hintergründe dieser tragischen Ereignisse zustande kamen.
Das ist sehr spannend und war mir so in diesen perfiden Details noch nicht bewusst (sollten diese stimmen).

Der Film lädt ein zum Nachdenken, wie man selbst in dieser Situation entschieden hätte. Die Zeit drängte vorm Hintergrund der immer massiveren Ausschreitungen.
Was die dramatischen Folgen dieser Trennung waren, wissen wir heute. 14 Millionen Vertriebene. 1 Millionen Sikhs, Hindus und Moslems wurden ermordet. Pakistan steht immer am Rande des wirtschaftlichen Ruins. Der Hass zwischen Indien und Pakistan scheint ungebrochen.

Mountbatten selbst wurde 1979 in der Republik Irland Opfer eines Bombenattentates der IRA.

Schwere Kost…keine Frage…da spaziert man jetzt nicht unbedingt fröhlich unterhalten aus dem Kino. Aber sehr gerührt und sensibilisiert für die Hintergründe der indischen Geschichte.

Hugh Bonneville (Lord Mountbatten), Gillian Anderson (Lady Mountbatten), Manish Dayal (Jeet), Huma Qureshi (Aalia) spielen alle wirklich großartig. Den meisten Applaus bekam Gillian Anderson.

 

Der letzte große Auftritt von Schauspieler Om Puri (starb im Januar diesen Jahres) wurde von den wissenden Zuschauern im Saal der Berlinale-Palastes mit Szenenaupplaus bedacht.

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Newton – ein Prinzipienreiter in Hochform

Der indische Film „Newton“ feierte auf der Berlinale seine Weltpremiere und das laut lachende Publikum dürfte den anwesenden Filmemachern und Schauspielern sehr gefallen haben.

Feinsinnigen Humor sucht man in indischen Filmen leider oft vergebens, denn die Inder mögen anscheinend eher den gröberen Slapstick-Humor. Umso freudig überraschend, dass Newton mit einer ganz besonderen Art von Witz unterhält. Sarkastisch satirisch wird hier die Demokratie in Indien beleuchtet. Newton, gespielt von Rajkummar Rao, ist ein wahnsinnig korrekter Büroangestellter, dem die korrekte Durchführung seiner Arbeit sehr am Herzen liegt. Das ist urkomisch, wenn solch ein Mann versucht, in einem gefährlich umkämpften Dschungelgebiet korrekte Wahlen mit der rebellischen indigenen Bevölkerung vor Ort durchzuführen, die so gar kein Interesse daran hat, irgendwelche weit entfernten, nie gehörten Politiker aus Delhi zu wählen. Dem Unwillen des Militärs vor Ort, sich in das umkämpfte Gebiet zu begeben, entgegnet er mit seiner stoischen Art, seine Aufgabe als Wahlhelfer durch zu ziehen, komme was da wolle. Und da nimmt die Situationskomik sehr absurde Seiten an, über die man herzlich lachen kann, aber am Ende hat er seinen persönlichen Sieg errungen. Die Filmemacher wollten zeigen, dass auch ein Mensch alleine die Dinge verändern kann mit seiner unerschütterlichen Art, sein Ziel zu erreichen und wenn es mehr Newtons auf der Welt gäbe, wäre es eine viel bessere Welt. Das mag wohl stimmen. Ich persönlich wäre wohl eher einer der Wahlhelfer gewesen, die diese Sache nur mit machen, weil sie deswegen einmal mit dem Hubschrauber fliegen durften^^

In einer Szene wird die Gegend der Rebellen als „Pakistan“ bezeichnet, da Pakistan in Indien einfach als Synonym für „Feind“ steht. Der Regisseur wollte darauf hinweisen, dass die Medien immer ihre Überzeugungen darstellen wollen und man den Medien immer kritisch gegenüber stehen sollte.

Ich habe diesen Humor genossen und möchte jetzt am liebsten auch an der Seite von Newton versuchen, bürokratische Strukturen in die Wildnis zu bringen. Nichts scheint absurder.

Ganz besonders hat mir auch das Militäroberhaupt gespielt von Pankaj Tripathi gefallen. Er meinte zwar bescheiden, dass Rajkummar Rao so gut spielte, dass er gar nicht groß schauspielern musste, aber die beiden waren schon echt ein ganz besonders humoristisches Duo.

 

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Sairat – Freier Geist in gesellschaftlichen Ketten

Ich war mir nicht sicher, ob mir nach 4 Nachtschichten und wenig Schlaf nicht beim Film schauen die Augen zufallen würden. Aber der Film war so unglaublich wachrüttelnd, dass in keiner Sekunde an Schlaf zu denken war.

Regisseur Nagraj Manjule ist aufgewachsen mit den typischen realitätsfernen Bollywoodfilmen, in denen es meist ein Happy End gibt. Dem wollte er unbedingt das wahre Leben der indischen Gesellschaft entgegnen und auf die Leinwand bringen…das gelingt ihm mit Sairat so außergewöhnlich, dass es der Film an Dramatik und Emotionalität locker mit jedem Bollywoodfilm aufnehmen kann. Und das ganz ohne bombastische SpezialEffekte, berühmte Schauspieler und westliche Urlaubsparadieswelten der schönen Bilder wegen. Das Leben schreibt immer noch die berührendsten Geschichten. Auch wenn der Film nicht auf einer konkreten wahren Geschichte basiert, so könnte es doch jederzeit genauso passieren.

Es ist eines der süßesten Liebespaare, das ich je gesehen habe. Die wunderschöne Aarchi strotzt nur so voll Selbstbewusstsein, lässt sich von niemanden etwas sagen, schon gar nicht von Männern, die sie auch schon mal von der Badestelle vertreibt. Sie fährt Motorrad und Traktor. Taffer geht es kaum. Wie sollte man sich da nicht in sie verlieben. Dem erfolgreichen Cricket-Kapitän Parsha verdreht sie mächtig den Kopf. Ach was kann das Verliebtsein schön sein! So schön, dass der ganze Saal im Kino gleich mit verliebt ist in die Liebenden. Haaach. Es könnte alles so schön sein…wenn es nicht zwei Verliebte aus unterschiedlichen Kasten wären. Das darf nicht sein. Und was nicht sein darf, wird mit Gewalt getrennt.

In ihrer Verzweiflung fliehen sie und landen letztlich ohne Geld im Slum. Eine riesige Probe, auf die ihre Liebe gestellt wird. Obwohl sie ihr Bestes geben, ist Aarchi schnell mit dem beschwerlichen Leben im Slum ohne Familie, Freunde und Hoffnung am Ende ihrer Kräfte. Die Streitereien bringen sie fast auseinander, aber ohne einander wollen und können sie nicht leben und so finden sie den Weg, ein eigenes schönes Leben aufzubauen. Wo Bollywoodfilme aufhören, wenn die Liebenden sich nach dramatischen Ereignissen gefunden haben, da fängt Sairat an, das wahre Leben zu zeigen. Was nach dem Verliebtsein kommt, wenn der hoffnungslose Alltag die Liebe fast erdrückt, das gehört nun mal auch zum Lieben dazu. Dafür liebe ich diesen Film.

Der Regisseur bat darum, das Ende des Films nicht zu verraten, da es ein sehr überraschendes Ende ist. Es war tatsächlich so überraschend, dass viele im Saal ihren Schock darüber lauthals mit „Oh nein!“ äußern mussten. Das habe ich noch selten so erlebt. Soviel Mitgefühl mit der Geschichte, als wären es unsere besten Freunde. So tief drin in der Geschichte, als wäre alles genauso geschehen. Nach dem Film belagerten viele Zuschauer den Regisseur, um sich ihre Aufgewühltheit von der Seele zu reden und ihm zu Recht ihre Bewunderung über diesen besonderen Film entgegen zu bringen.

Ich hoffe, er macht noch weitere solche realistischen Filme. In Indien startet er erst noch, daher kann man über die Reaktionen in Indien noch nichts sagen. Das Berlinale-Publikum war zumindest beeindruckend bewegt und absolut mitgerissen. Unbedingt sehenswert! Ich liebe diesen Film!

https://www.facebook.com/Sairatmovie 

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