Bollywoodelfe's Blog

Eine deutsche Sicht auf Bollywood, Indien , Pakistan

Article 15 – Polizeiarbeit mit Hindernissen

In der Verfassung von Indien wird im Artikel 15 die Diskriminierung aus Gründen der Religion, der Rasse, der Kaste, des Geschlechts oder des Geburtsortes verboten. 

In Indien gibt es viele fortschrittliche Gesetze, die aber angesichts von Traditionen, die schon jahrhundertelang von Generation zu Generation weitergeben werden, in der Praxis kaum durchzusetzen sind. Das betrifft vor allem die Diskriminierung aufgrund einer Kaste. Das aktuelle Beispiel einer Grundschule in Indien zeigt dies deutlich: Kinder einer höheren Kaste bringen sich ihre eigenen Teller fürs Essen mit, weil sie nicht von Tellern essen möchten, von denen auch schon Kinder niederer Kasten gegessen haben. Dies haben sie so von ihren Eltern gelernt. Da können die Lehrer auch noch so viel Gleichheit lehren, wenn man vom Elternhaus schon so indoktriniert wird, setzt sich das im Kopf fest, dass man etwas Besseres ist. Und warum sollte man als besser gestellter Mensch jemals etwas unternehmen, um Gleichheit zu schaffen. Man möchte ja seine Vorteile gegenüber niederen Kasten nicht einfach so abgeben. 

Im Film wird Polizeibeamte Ayan von Delhi in ein kleines Dorf zwangsversetzt, weil er zum Innenminister nach einer Rede zu ihm meinte “Cool Sir”. Irgendwie absurd, dass ein eigentlich sehr positiv gemeinter Kommentar als Unhöflichkeit wahrgenommen wird, so dass es ein Grund für eine Versetzung ist. Ich kann mich noch erinnern, wie meine Schwester vor 10 Jahren einmal zu einem unserer Geschäftsführer “Na, alles cool?” sagte. Alle Personen, die das mitbekommen haben, erstarrten zu Salzsäuren. Der Geschäftsführer ignorierte den Anfall jugendlichen Leichtsinns einfach und der Vorfall blieb ohne Folgen. Heute duzen wir unsere Chefs und wir könnten ohne Bedenken „cool“ zu ihnen sagen. In Indien ist man offensichtlich noch nicht so verständnisvoll.

Wie auch immer, der Polizeibeamte muss sich jetzt erstmal mit dem Dorfleben arrangieren. Abgesehen davon, dass mal einige Dinge repariert werden müssten, funktioniert das mit der Polizeiarbeit auch nicht so richtig und es begegnen ihm Situationen in denen deutlich wird, dass hier die niederen Kasten diskriminiert werden. Auch ihm begegnet die Situation, dass ihm schnell ein anderer Teller gereicht wird, obwohl er selbstverständlich vom Teller seines Kollegen gegessen hätte.

Aus dem Dorf sind 3 Mädchen verschwunden. Zwei werden im Laufe der Ermittlungen tot aufgefunden. Sie sind aus einer niedrigen Kaste und wollten mehr Geld für ihre (Kinder-)Arbeit. Die Polizei will kein Aufsehen und sich mit niemandem “anlegen” und behauptet, die Väter der Mädchen hätten diese aus Wut und Scham getötet weil sie untereinander intim waren. Sie sollen zur Falschaussage gezwungen werden. Einige Polizeibeamte wollen die Sache unter allen Umständen unter den Teppich kehren, weil wichtige Leute mit in die Sache verwickelt sind. Sie werfen Ayan vor, er würde ja nach dem Fall wieder nach Delhi zurückkehren und sie müssten danach in Todesangst hier weiterleben. Doch Ayan lässt nicht locker, vor allem bei der Suche nach dem dritten verschwundenen Mädchen, das offensichtlich fliehen konnte und der Aufklärung, dass es Vergewaltigung war. Er wird von verschiedenen Personen daran gehindert, diesem Fall weiter nachzugehen. Fast scheint es unmöglich, den Fall noch aufzuklären, denn er wird auch noch suspendiert. Die Auflösung des Films möchte ich hier nicht verraten.

Für mich persönlich ging es in dem Film zwar auch um Diskriminierung, aber vor allem auch um Korruption, Klüngelei und Vertuschung innerhalb der Polizei.

Ich bin eigentlich kein Fan von Krimis, aber hier wird so sensibel und kinematographisch einfühlsam mit den Missständen der indischen Gesellschaft umgegangen, vor allem wieder einmal wie stark das politische Umfeld Einfluss auf alles hat, dass ich den Film auch Nicht-Krimi-Fans ans Herz legen kann.

Zu sehen bei Netflix: https://www.netflix.com/de/title/81154455

EN

The Indian Constitution prohibits discrimination based on religion, race, caste, gender or place of birth. In India, there are many progressive laws but it’s difficult to enforce them because centuries of traditions are stronger than laws passed by the government, especially regarding the discrimination of a caste. The latest example shows that oppression: children of a higher caste in a primary school bring their own plates for lunch, because they don’t want to eat from plates which the children of low castes have used. This is what they have learned from their parents. Teachers can still teach so much about equality but if you are so indoctrinated by your parents, you think that you are better than others. And why, as a better-off person, should you ever do anything to create equality? You don’t want to give away your advantage over lower castes.

In the film, police officer Ayan is forcibly transferred from Delhi to a small village because he told an important minister after a speech: „Cool, Sir.“ It’s somehow absurd that a really very positively meant comment is perceived as rudeness, and becomes a reason for a transfer. I can still remember how my sister once said to one of our CEOs 10 years ago „Well, everything cool?“ All those who heard it were petrified. The manager simply ignored the fit of youthful silliness and the incident was forgotten without consequences. Today we could say cool to them without hesitation. Obviously in India they are not that understanding yet.

Anyway, the police officer has to come to terms with the village life. Apart from the fact that some things have to be repaired, in the police station and it’s not going well, he encounters situations in which it becomes clear that the lower castes are being discriminated. For example  if he wants to eat from the same plate of a colleague and a new one is served to him.

Three girls from the village have disappeared. Two are found dead in the course of the investigation. They are from a low caste and wanted more money for their work. The police don’t want to stir up the situation and confront anyone, claiming that the girls‘ fathers killed them out of anger and shame because they were intimate with each other. The father should be forced to make false statements. Some police officers want to cover up the situation under all circumstances because important people are involved. They mention to Ayan that when he returns to Delhi after the clarification of the case they will have to remain living here in mortal fear. But Ayan doesn’t want to give up, yet hoping to find the third missing girl who could obviously escape and the clarification that it was rape. Various people tried to stop him from continuing to investigate the case. At one point, he was suspended from the case, making it seem almost impossible to clarify the case. I don’t want to reveal how the film turns out, but everything makes sense at the end.

For me personally, the film was also about discrimination, but above all about corruption, cronyism and cover-ups within the police.

Actually, I’m not a fan of crime thrillers, but the subject is cinematographically so sensitively dealt with, especially how strongly the political environment has an influence on everything and the movie pays attention to the various abuses in India that makes the daily life so difficult for many people.

 

Hinterlasse einen Kommentar »

Soni – Kämpferin in einer frauenfeindlichen Welt

Wenn das Leben von Frauen in Indien in all den problematischen Facetten beleuchtet wird, ist das meist deprimierend. Hier kämpfen die Polizistin Soni und ihre Chefin Kalpana gegen die täglichen frustrierenden Situationen im Leben einer Frau. Soni ist sehr ungestüm und wird auch schon mal handgreiflich, wenn sie beim Versuch, eine Situation mit Worten zu klären, nicht weiterkommt und stattdessen nur sexuell lüsternd angemacht wird. Bevor die Männer sie körperlich angreifen können, greift sie zu. Das kann man ihr als Zuschauerin überhaupt nicht verübeln, ist aber so gar nicht mit ihrem Job als Polizistin zu vereinbaren. Ihre Chefin Kalpana bekommt den Ärger mit ab, weiß aber die insgesamt gute Arbeit ihrer Mitarbeiterin zu schätzen. Neben den brenzligen Begebenheiten im Beruf haben die Frauen auch im Privatleben mit einigen frauentypischen Problemen zu kämpfen. Der ständige gesellschaftliche Druck auf die Frauen, die sich als Gebärmutter der Nation gefälligst um Nachwuchs zu kümmern haben und nicht um den Beruf, die eine ordentlich arrangierte Ehe führen sollen, ohne Skandale. Keine Aufmüpfigkeiten bitte und immer schön der Tradition nach. Wenn man als alleinstehende Frau unterwegs ist, sollte sie sich besser als verheiratete Frau mit Sindur kennzeichnen (dürfen nur verheiratete Frauen als Kennzeichen tragen), damit sie nicht belästigt wird. Nur nicht auffallen. Nur keine Aufmerksamkeit von Männern auf sich ziehen. Sonst droht Vergewaltigung. Die beiden Frauen versuchen, sich mit den Gegebenheiten so gut es geht zu arrangieren. Sonst landet Frau schließlich schnell am Rande der Gesellschaft. Letztlich ist sich Soni überhaupt nicht mehr sicher, ob ihre Arbeit als Polizistin etwas nützt. Ich finde, wenn Frauen sich im männlich dominierten Berufsleben behaupten, ist das in jedem Fall wichtig. Sich zeigen. Auch die Frauen sind gehören dort hin. Das nützt sehr wohl etwas.

Sehr realistisch dargestellt ist auch insgesamt die Arbeit im Polizeirevier. Einige Polizisten versuchen Bestechungsgelder zu erpressen, Frauen als Polizisten werden nicht ernst genommen. Nur wenn sie auf etwas männliche Art harsch werden, bekommen sie Aufmerksamkeit. Und wenn es um Leute mit (parteipolitischem) Einfluss geht, muss auch mal ein polizeiliches Auge zugedrückt werden.

Dieser authentische und realistische Film wird wohl nicht die unterhaltungshungrigen Massen anziehen, erst recht nicht die indischen Zuschauer, die sich gern von ihrer unschönen realen Welt mit Bollywoodfilmen wegträumen. Ich finde solche Filme sehr wichtig. Wenn auch manchmal fast unerträglich, weil man das Gefühl hat, es wird sich für Frauen in Indien nie etwas ändern. Auch nach dem großen Skandal um die Massenvergewaltigung von 2012 gibt es immer und immer wieder furchtbare Fälle dieser Art, die Vergewaltigungsstatistik war 2018 so hoch wie nie.

Die beiden Frauen zusammen im Film wirken immer stark. Vielleicht ist die Botschaft noch mit am Wichtigsten: Zusammen seid ihr stark.

Zu sehen bei Netflix: https://www.netflix.com/de/title/81023713

Hinterlasse einen Kommentar »

Simmba – Hau-drauf-Cop

Was Inder lustig und unterhaltsam finden ist immer recht interessant. In diesem Fall hätte ich mir die Lehrstunde zu Indiens Unterhaltungsindustrie allerdings lieber gespart. Dass Inder auf gewaltverherrlichende Filme abfahren, ist mir bekannt. Muskelbepackte Männer in Polizeiuniformen sind ja spätestens seit Dabanng die absoluten Helden. Stundenlang sieht man die verprügelten Männer durch die Gegend fliegen, schon fast anmutig durchchoreographiert, immer schön in Zeitlupe, damit man sich in jeder Einzelheit vorstellen kann, wieviele Knochen ihnen in diesem Moment brechen. Mehr Fäuste für ein Hallelujah geht nicht. Ein korrupter und etwas schräger Cop (Ranveer Singh) wird im Laufe des Films geläutert. Alles schön und gut. Aber Simmba schießt den (schrägen) Vogel ab, was die Moral von der Geschichte betrifft. Die Frage, was man mit Vergewaltigern macht, die keine Angst vor einer Verurteilung haben müssen und wahrscheinlich ungeschoren davon kommen, stellten sich in letzter Zeit so einige Filme (MOM, Ajji). Hier wird nun als Lösung eine Variante dargestellt, in der die Vergewaltiger vom Polizisten ermordet werden, aber sie es so drehen, dass es nicht wie Mord aussieht. Gerechtfertigter Mord durch die Polizei. Das finde ich mehr als fragwürdig. Nein, mein Fall ist dieses Remake eines Telugu-Films wahrlich nicht. Die Inder im Kinosaal lachten pausenlos, ich hatte dafür nicht mal ein müdes Lächeln übrig. So trennten uns in diesem Film unterhaltungstechnisch Welten.

Hinterlasse einen Kommentar »