Ranga Yogeshwar (Wissenschaftsjournalist und Physiker, Sohn eines indischen Ingenieurs) erzählte einmal den schönen Witz: “Treffen sich drei deutsche Männer. Nach 5 Minuten reden sie über Autos. Treffen sich drei indische Männer. Nach 5 Minuten reden sie über ihre Verdauung.”
Genauso mit diesem Thema steigt man als Leser des Buches auch ein, denn das ist offensichtlich eine Erfahrung, die jeder Indienreisende einmal machen muss: den Tag der vollkommenen Entleerung. Auch mich traf es bei meiner ersten Indienreise, zum Glück erst am Ende. Ich konnte diese Passagen somit sehr gut nachfühlen, es war genauso furchtbar wie beschrieben. Über den Ganges schreibt der Autor Andreas Brendt dann auch noch sehr passend: “Ort der Begegnung. Mensch und Kolik.” Sehr schön beschrieben.
Andreas Brendt hat sich nach Indien aufgemacht, “um etwas zu erleben, aber auch um etwas mitzunehmen”. Nach innen blicken. Mit einer Veränderung in das farblos gewordenen Zuhause zurückkehren.
In der ersten Hälfte des Buches geht es sehr spirituell und esoterisch zu. Vielleicht war die vollkommene Entleerung gleich am Anfang seiner Reise ja genau richtig, um all die tausend neuen Eindrücke in sich aufzunehmen. Er schreibt sehr bildhaft und detailliert über seine Erfahrungen in Goa, ein Tantra-Festival und Yoga-Sessions. Er schreibt vor allem sehr ehrlich über seine Gefühle dabei und wie die Ereignisse auf ihn wirken. Reflektiert seine Erlebnisse. Das ist sympathisch und für mich durchaus interessant, weil ich selbst nie aus diesem Zweck nach Indien reisen würde und an solchen Veranstaltungen teilnehmen wollte. Und nach dem ich nun so ergiebig und ausführlich über seine Erfahrungen gelesen habe, gibt es auch in der Zukunft für mich keinen Grund, mich in diese sehr speziellen Sphären zu begeben. Aber es ist auch irgendwie schön zu wissen, dass es anscheinend genauso abläuft, wie man es sich vorstellt. Und der Beschreibung nach habe ich auch durchaus das Gefühl, dass ich als Leser hier eine konkrete Anleitung in der Hand halte, ein erfolgreicher Tantra-Guru zu werden, der anderen allein mit Handauflegen zum besten Orgasmus seines Lebens verhelfen kann.
Es gefällt mir sehr gut, wenn jemand so mutig ist, sich aus westlicher Sicht auch mal zum Löffel zu machen. Ich finde es sehr schade, dass man dazu nach Indien reisen muss, aber natürlich ist das wunderbar, dass es so ein Land gibt, in dem man sich mal so richtig austoben kann. Fernab der westlichen humorlosen Leistungsgesellschaft.
Als Mann kann man in Indien anders reisen als eine Frau. Ein Mann ist viel freier in dem, was er tun kann. Z.B. mit einem Nachtbus fahren, in dem es keine Toilette gibt und sich dann einfach den nächsten Baum suchen, sobald der Bus anhält. Überhaupt tangiert einen als Mann die Toilettenproblematik in Indien nicht annähernd so sehr wie eine Frau. Der Autor kann einfach mal eben so mit Sadhus abhängen und kiffen. Dabei viele Tempel durchlaufen. Einer Frau ist es z.B. verboten, während ihrer Periode Tempel zu betreten. Das kann man bei einer Reise nicht immer beeinflussen. Auch kann ein Mann kann mit all den anderen Männern Bruderschaft feiern. Unter Frauen ist so etwas eher selten möglich. Frauen beäugen sich lieber kritisch oder lästerhaft. Da kann Frau schon neidisch werden, was Mann so kann. Aber tatsächlich, selbst als eingeschränkte Frau erlebt man Indien als ein Land, in dem man dieses gewisse Gefühl von Freiheit spüren kann, dass in unserer westlichen Gesellschaft vollkommen von Regeln und Verboten und Konventionen eingeschnürt ist. Auch Frau kann z.B. mit vier Personen auf einem Motorrad sitzen und ungestraft durch die Gegend fahren, solange der Fahrer einen Helm trägt.
Die Reise des Autors führt nach Goa, Hampi, Varanasi und Rishikesh. Jede Stadt hat ihre eigene Magie. Er erlebt alles, was man erleben kann. Eine indische Hochzeit, Leichenverbrennung, “Vulkan in der Fresse” (vom scharfen Essen), die Langsamkeit, Überlebenskämpfe in der Menge. Kurz schwingt bei der Teilnahme einer Hochzeit auch auch mal die kritische Frage mit, ob arrangierte Ehen, so gut sie gemeint sind, nicht auch Nachteile bringen. Das aber nur kurz, es ist ja ein humorvoller Roman, der die Menschen glücklich machen soll.
Was den Humor betrifft, schwinge ich mit dem Autor auf einer Wellenlänge. Wenn er z.B. mit seinem Freund das “Kölsche Grundgesetz” rezitiert, als Antwort auf jemanden, der aus den Veden zitiert (religiöse Texte im Hinduismus). Er schreibt: “Die Götter in Indien tragen einen Affen- oder Elefantenkopf. Die in Köln sind mit Pappnasen unterwegs.Inhaltlich gibt es keine Differenzen.” Sehr schön. Er gibt den Rat “Scheiß auf die Routine. Es lebe der Unsinn”. Genau so lebe ich. Einige lieben mich dafür, andere schütteln ständig den Kopf über mich. Den Satz “Das darf man nicht” höre ich sehr oft. Der Autor empfiehlt Sex mit Socken, um im Privatleben für die richtige humorvolle Auflockerung zu sorgen. Ich empfehle fürs Büroleben Nonsense-Sprüche mit “Rosen sind rot” am Ende eines Meetings anzubringen. Als mir neulich die Kollegen allzu grummelig drein schauten, sagte ich zum Abschluß: “Rosen sind rot, der Mond war voll, heute ist Montag, ist das nicht toll!” Wirkt Wunder.
Was ich aus diesem Buch mitgenommen habe:
- Sitar Musik stärkt das Immunsystem und löst Blockaden im Körper. Kann ich in irgendwie auch ohne Studien dazu nachvollziehen: indische Musik hat immer einen durchgehenden Grundton und alle anderen Töne werden dazu in Verhältnis gesetzt. Die relative Einfachheit macht sie meditativ. Das entspannt. Ein entspannter Körper kann natürlich viel besser seine Immunabwehr aktivieren. Das fand ich so gut, dass ich während des Lesens meditativer Sitar Musik lauschte.
- Dinge, die einen in Indien so richtig nerven oder beängstigend sind, einfach mit Humor nehmen. So beschreibt er das Gedränge auf dem Bahnhof in Varanasi z.B. so: “Anstatt in eine Richtung zu gehen, lassen wir uns von der Menge tragen. Ein bisschen Überlebenskampf, aber ohne Taschendiebe eigentlich ganz heiter.” Oder “Fahrer zerren an ihren Kunden. Im Herzen nicht bedrohlich, sondern eifrig. Indieneifrig.” Ich wünschte, ich hätte es damals ähnlich heiter sehen können. Für mich war dieses “Indieneifrig” einfach nur sehr lästig und energieraubend und im Nachhinein immer eine der negativen Erinnerungen.
Fazit: es ist ein humorvoller, heiterer Abenteuerreisen-Roman. Indien als großer Spielplatz für in der westlichen Welt beschränkte Abenteurer. Als Energiepunkt, mit vielen Sichten auf sein Ich zu schauen, genährt von den Weisheiten populärer Gurus. Ich mag die humorvolle Art, auf die Dinge zu schauen. Man sollte sich und das Leben nicht immer so furchtbar ernst nehmen.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Conbook Verlag für das bereitgestellte Rezensionsexemplar.
ANDREAS BRENDT
GANESHA MACHT DIE TÜRE ZU
INDIEN, SEX MIT SOCKEN UND IMMER WIEDER STERBEN
- VERLAG: CONBOOK
- SEITENZAHL: 288
- ERSTERSCHEINUNG: 12.08.2019
- ISBN: 9783958892446
EN
Ranga Yogeshwar (Science journalist and physicist, son of an Indian engineer) once made a nice joke: When three German guys meet they are talking about cars after five minutes. When three Indian guys meet, after five minutes they are talking about their digestion.
As a reader of this book, the first thing I read about was the intestinal problems of the author, because it is obviously an experience, which each India traveler has to go through: the day where your bowels are completely emptied. I also had to face it on my first trip to India, luckily at the end of the journey. So I could sympathize with these passages very well, it was just as terrible as described. The author Andreas Brendt also writes very fittingly about the holy Ganges: “Ort der Begegnung. Mensch und Kolik. (Place of encounter. Human and colic.) Very well described.
Andreas Brendt has gone to India “um etwas zu erleben, aber auch um etwas mitzunehmen” (to experience something, but also to take something along). To look inward. T have something to reflect on later when he returns to the colorless environment.
The first part of the book is very spiritual and esoteric. Perhaps the total emptying was perfect at the beginning of his journey to absorb all the thousand new impressions. He writes very pictorially and in detail about his experiences in Goa, a Tantra festival and yoga sessions. Above all, he writes very honestly about his feelings and how the events affect him. Reflecting on his experiences. That is nice and very interesting, because I myself would never travel to India for this purpose nor would I like to participate in such events. And after reading so extensively about his experiences, there is no reason in the future for me to go into these very esoteric realms. But it’s kind of nice to know that it seems like it’s going to happen how I thought. And according to the description, I also have the feeling that I hold a concrete guide to becoming a successful Tantra guru.
I like it very much when someone is brave enough to act silly. I think it’s a pity that you have to travel to India to do this, but of course it’s wonderful that there is such a country where you can really let off steam. Far from the humorless western high performance society.
As a man you are able to travel differently in India than a woman. A man is much freer in what he can do, e.g. traveling on a night bus, in which there is no toilet. A man can just look for the next tree as soon as the bus stops. In general, being a man does not affect the toilet problem in India nearly as much as being a woman. Or a man can hang out with Sadhus and weep. Can go through many temples while for women it is forbidden to enter temples during their period. Unfortunately, you can’t schedule your menstruation while traveling. Or a man can celebrate brotherhood with all the other men. There is no such thing for women. Women prefer to observe each other critically. As a woman I’m a little bit jealous about what men can do. But in fact, even with the limitations of being a woman, I experienced India as a country in which you can feel that certain sense of freedom, that is missing in our western society which is completely constrained by rules and prohibitions and conventions. Even a woman can sit with four people on a motorcycle and drive with impunity, as long as the driver wears a helmet.
The author’s journey leads him to Goa, Hampi, Varanasi and Rishikesh. Every city has its own magic. He experiences everything that can be experienced. An Indian wedding, cremation, “Vulkan in der Fresse” (volcano in the mouth) referring to spicy food, slowness, struggle for survival in the crowd. For a short while, the critical question arises at the wedding as to whether arranged marriages, as good as they are meant, in some cases have disadvantages. But only for a short moment because it’s a humorous novel that should make people happy.
I share the author’s sense of humor. If he, for example, reciting with his friend the „Kölsche Grundgesetz“ (Guide that governs living in Cologne) in response to someone who quotes from the Vedas (religious texts in Hinduism). He writes: “Die Götter in Indien tragen einen Affen- oder Elefantenkopf. Die in Köln sind mit Pappnasen unterwegs.Inhaltlich gibt es keine Differenzen.” (The gods in India have a monkey or elephant head. The gods in Cologne wear carnival costumes. In effect, there is no difference). Very nice. He gives the advice “Scheiß auf die Routine. Es lebe der Unsinn” (Fuck the routine. Long live nonsense). That’s how I live. Some love me for it, others constantly shake their heads about me. I often hear the phrase: That’s not allowed! The author recommends sex with socks for a humorous relaxation in private life. I recommend „roses are red“-nonsense rhymes for office life at the end of a meeting. One day, when my colleagues looked too grumpy, I concluded a meeting with: „Roses are red, the moon was full, today is Monday, isn’t it beautiful!“ Works great.
What I’ve learned from this book:
- Sitar music strengthens the immune system and dissolves blockages in the body. That makes sense: Indian music always has a continuous fundamental tone and all other sounds are set in proportion to it. The simple content makes the music meditative and relaxing. Of course, a relaxed body can better activate its immune system than a stressed body. While reading this book I loved to listen to meditative sitar music.
- Just take the things that are really annoying or frightening in India with humor. He describes the crowd at the station in Varanasi, for example. so: “Anstatt in eine Richtung zu gehen, lassen wir uns von der Menge tragen. Ein bisschen Überlebenskampf, aber ohne Taschendiebe eigentlich ganz heiter.” (Instead of going in one direction, we let ourselves be carried by the crowd. A little challenge of survival, but without pickpockets actually quite cheerful) Or “Fahrer zerren an ihren Kunden. Im Herzen nicht bedrohlich, sondern eifrig. Indieneifrig.” (drivers tug at their prospective customers. Not in a threatening way, out of eagerness. “Indian busy”.) I wish I could have seen this in a cheerful way on my journey . For me, this „Indieneifrig“ was just very annoying and energy consuming, and in retrospect, it will remain one of the negative experiences I never want to repeat.
Conclusion: it is a humorous, cheerful adventure travel novel. It provides a view of India, without paying much attention to the diverse problems in this country. India as a big playground for adventurers who wants to escape the limits of the western world. He refers to India as an energy point where you can view your ego in many ways, nourished by the wisdom of popular gurus. I like the author’s humorous way of looking at things. You should not always take yourself and life so seriously.
I would like to thank Conbook Verlag for providing the reviewer’s copy.
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